Zurück in der Freiheit auf zwei Rädern…

Was für eine grandiose Idee, was für eine besondere Zeit. Heute sind wir hier, weil wir hier sein möchten. Morgen sind wir dort, weil wir dort hinwollen. Übermorgen verweilen wir, weil uns Ort & Stelle fesselt.

Wir holen ganz tief Luft. Atmen den Sonnenaufgang ein, dessen Strahlenkleid sich langsam übers Meer ausbreitet. Mir scheint, nicht nur wir, sondern auch die mächtigen Berge hinter uns, laben sich an ihm. Wir fühlen uns blendend, Frühstücken draussen, besprechen den Tag und freuen uns auf die heutigen Abenteuer. Der Sprung ins frische Wasser justiert die Sinne neu. Wir packen unser Zelt zusammen, satteln unsere Stahlrösser, machen uns auf, öffnen unser Buch für weitere spannende Geschichten. Ich muss grinsen, denn in meinen Gedanken erlebe ich ein Déjà-vu.

Aus dem Schleier der Vergangenheit lichtet sich diese Zeit, eine heilige Zeit, in der ich damals trotz überschaubarem Einkommen, trotz einfachen Mitteln grosse Abenteuer im Alltag erleben durfte. Das war diese Zeit, als ich als junger Bursche lernte langsam selbständig zu werden. Mit dabei, mit verantwortlich dafür, mein Bike. Damals war das Ganze noch jungfräulich, unschuldig, naiv angehaucht und das Biken selbst keine Materialschlacht. Es war geil, aber absolut Basic. Robuster, knackiger Stahl, schlechter bunter Lack, keine Federung, ich konnte alles überall selbst reparieren und ich hatte auf dem Sattel das Gefühl von Schwerelosigkeit. Kein Berg zu hoch, kein Ort zu weit. Mit Zelt und kleinem Gepäck machte ich mich immer wieder auf die Reise und konnte dieses Leben mit meinem kleinen Gehalt und dem Zustupf von Mami irgendwie finanzieren. Ich fühlte mich leicht. Zeit war verfügbar. Gleichzeitig durfte ich noch über so viele Dinge keine Gedanken verschwenden. Das war Selbstbestimmung, Leidenschaft, Abenteuer und Freiheit in seiner reinsten Form. Biken, mein Steuer dabei selbst in die Hand zu nehmen und den Moment zu feiern, war für mich lange Zeit ein Teil meiner Lebenseinstellung!

Irgendwann begann dann auch bei mir der Ernst des Lebens. Ich sollte erwachsen werden, funktionieren, in der Masse mitlaufen. Dann ein Abschluss, ein angesagter Beruf und das ganze Karrieregedöns. Das was ich machte war kommerziell erfolgreich. Zur Natur der Sache gehörten dann selbstverständlich auch Eitelkeiten, Autos, Immobilien, Schein, Luxusurlaube. Das erste Kind, das Leben wollte geplant, versichert und abgesichert werden. Ängste wurden geschürt, um dann teuer betäubt zu werden. Ich konnte das «was ich wollte», konsumieren. Über das «was ich brauchte», machte ich mir keine grossen Gedanken… und selbst wenn, der Konsum tröstete mich über so vieles hinweg.

In dieser Zeit kamen mir selbstverständlich nur noch die «richtig geilen» Rösser in den Stall. Titan, Carbon, die neuesten Schreie der Industrie. Die edlen Bikes wurden immer leichter. Der Geldbeutel auch und wollte entsprechend gefüttert werden. Freiheit durch Geld. Ich habe das Prinzip verstanden, es kultiviert, mich angepasst und optimiert.

Die Bikes wurden immer krasser und es kamen eines Tages sogar die anfangs von mir belächelten Motoren ins Spiel. Damit konnte ich theoretisch noch schneller, noch effizienter, noch müheloser vorankommen. Wohin eigentlich? Weswegen eigentlich? Wann denn eigentlich? Ich gewöhnte mir ab, mir solch unbequeme, unschicke Fragen zu stellen und mit der immer komplexer werdenden Technik kam irgendwie meine einstige Lebenseinstellung vollends unter die Räder.

Ich konsumierte, sammelte und verwaltete Bikes und Waren wie meine Träume. Das alles ging so schleichend, dass ich gar nicht bemerkte wie träge, krank, unzufrieden und schwer ich dadurch wurde. Das Leben wurde wahnsinnig kompliziert, die Abhängigkeiten wurden immer grösser und meine Angst, den Plunder wieder zu verlieren, auch. Kein Wunder, denn wer verliert schon gerne das, worüber er sich definiert?

Aber dieses ganz ursprüngliche Gefühl von damals, es liess mich zum Glück nie ganz los. Ich fand oft Trost in dem Gedanken, dass ich «Worst-Case» ja auch als fetter Vogel immer in jener bescheidenen Freiheit landen könnte, die mich damals so prägte und zufrieden machte.

«Worst-Case, wenn alles schief gehen sollte, dann nehme ich wieder ein ganz einfaches Bike und mache mich bescheiden auf meine Reise.«

Dieser kleine, trostspendende Gedanke, welcher sich in meinem unrealistischen Worst-Case Szenario versteckte, war ein ganz Grosser! So gross, dass er dann platzte, als ich am fettesten war. Der Gedanke hat mir eine einzige dreiste Frage gestellt und mich dazu bewegt meinen Way of Life komplett zu überdenken.

Wenn du mit «nichts» so viel hast, wieso brauchst du dann überhaupt «was»?

Vielleicht war die Frage etwas überspitzt ausgedrückt aber ihre krasse Faust, sie sass und meine Antwort darauf liess kein Stein mehr auf dem anderen.

Ich lernte endlich loszulassen und ich liess los. Sehr viel aber nicht alles. Minimalismus ist cool, aber es ist sicher nicht meine Religion.

Es kam und kommt auch in Zukunft alles auf den Prüfstand. Dinge, die mich mehr Energie kosten als sie mir Freiheit bringen, sortiere ich aus. Will ich nicht, brauch ich nicht, weg damit!

«Unsere Freiheit steht im Mittelpunkt. Alles was wir zukünftig an Zeit, Energie und Geld investieren, soll in unsere Freiheit fliessen.»

AMEN

Das Gebet entfaltete seine Wirkung. Uns verliessen nach und nach schwere Kost wie Immobilien und (Schein-)Sicherheiten aber auch so unglaublich viel dämlicher Luxusschnickschnack. Und um beim hiesigen Thema zu bleiben, wir trennten uns auch von all den blinkenden High-End Bikes. Wieso brauchte ich bloss so ’ne Grütze? In mir im ganzen Prozess keine Regung, keinerlei Gefühle, kein Abschiedsschmerz. Material ist wirklich so unfassbar belanglos, wenn es mehr dem Schein als dem Sein dient.

Wir besorgten uns aber dafür zwei bezahlbare, sympathische Rösser aus ehrlichem, robustem Stahl. Wie damals ganz ohne Federung, ohne Hydraulikbremsen, leicht wartbar, schweissbar, perfekt-unperfekt, back to the roots… dazu stabile Racks, Packsäcke, Zelt, Schlafsäcke, altersgerechte Matten, Kocher und alles, was man halt für so eine Weltreise braucht.

Und was soll ich sagen. Die ersten Ausfahrten, Pässe und Touren damit waren übertrieben geil und wir wollen diese Art von Freiheit im Alltag und im Urlaub fest verankern. Und irgendwann, wenn wir unser Freiheits- und Businessprojekt (anstelle Mamis Zustupf) «Castel’lo» fertig haben und die Kids gross und ebenso weise sind, möchten wir damit vielleicht mal auf eine richtige, verrückte «Open-End» Weltreise gehen. Aber wer weiss schon was kommt… kein Plan hält sich an Pläne und wir leben JETZT.

Wir entwickeln uns weiter, möchten gesünder, zufriedener, fitter, einfacher, anspruchsvoller und materiell betrachtet «anspruchsloser» werden. Das alles wird uns in so ziemlich allen Lebenslagen hilfreich sein. Mit weniger Existenz-Sorgen, Ängsten, Gedanken und Ballast reist und lebt es sich doch deutlich leichter…

Zusammen mit den Bikes über Berg und Tal, Stock und Stein. In fremde Länder, mal dorthin wo keine nervigen Massen-Touris sich verirren, mal dorthin wo die Natur überwiegt, mal dorthin wo die Menschen leben und immer auch mal wieder rein in den Grossstadt-Tumult. Frei campen. Selbst kochen. Dem Abenteuer Raum geben. Bewusst und vor allem kostengünstig reisen. Nur so ist es nachhaltig, nur so wird vieles für uns erst realistisch, weil wir eben nicht mehr bereit sind uns dafür in die grossen Mühlen zu begeben.

Nicht alle aber einige Altersgenossen werden womöglich bei diesen Gedanken eher erstmal die Nase rümpfen. Zu unkomfortabel, zu hart, zu alt, zu steil, zu anstrengend, zu wenig luxuriös, zu gefährlich, zu nass, zu trocken, zu kalt, zu warm, zu zügig, zu schwer, zu wenig perfekt, zu weit, zu nah, zu schmerzhaft und zu unsicher. Glaubt nicht, dass wir nicht auch schon selbst über den einen oder anderen Grund gestolpert sind… Uns ist natürlich bewusst, dass es alles andere als ein leichter Weg werden wird. Auf uns werden sicher auch Rückschläge, schlechte Pisten, Risiken und Stolpersteine lauern.

Aber was für uns zählt ist das Leben, die Erlebnisse und das Abenteuer. Keiner wird irgendwann am Ende kommen, dich mit Zeit belohnen und dir sagen Du warst «-ein guter Zuschauer», «-ein anständig Versicherter», «-ein sorgfätiger Perfektionist», «-ein vorbildlicher Bünzli oder «-ein besonders treuer Mitläufer» und selbst wenn, keine arme Seele kann sich davon dann noch was kaufen.

Die liebe, kostbare Zeit tickt bei uns allen gleich schnell. Wenn’s, ja wenn’s bei uns gut läuft, haben wir vielleicht… sagen wir mal ganz nüchtern betrachtet noch poplige 30 Geburtstage bis wir in die ewigen Jagdgründe eintauchen. Noch 25 Geburtstage bis wir im Sitzkreis tatterig über die nächtliche Hämorrhoidenplage debattieren. Noch 20 Geburtstage mit mehr oder weniger eigenem Gebiss und ohne Stützräder. Noch mindestens 15 Geburtstage bis der Staat uns offiziell gütiger Weise auf unserem eigenen gepolsterten Rentnersattel platznehmen lässt, vielleicht. Noch 10 Geburtstage bis wir uns auf dem Bike so richtig alt und gruftig fühlen und womöglich auch so aussehen… bitte für wen, für was sollen wir denn noch weiter Zeit verschwenden? Auf welches Zeichen sollen wir noch warten?

Schlussendlich muss es ja jeder selbst wissen und ich Dackel dürfte ja eigentlich kein Moralapostel sein, aber ich glaube unserer verwöhnten Pussy-Gesellschaft täte weniger Konsum und mehr Bescheidenheit, Selbstbestimmung und Zufriedenheit wirklich gut.

Vielleicht publizieren wir hier über das Thema Bikepacking die eine oder andere Story oder auch Filmchen, mal sehen… Vielleicht können wir auch andere Menschen dazu animieren, so wie der phänomenale Daniel alias Radreise Unlimited, Franzi und Hans alias Rückenwind, Angelika und Reinhard alias Saddlestories etc… uns zu unserer Freiheit auf zwei Rädern animiert haben. Würde uns sehr freuen 🙂

LET’S GOOOOOOO

Gruss geht raus an alle, die bis hierhin durchgehalten haben!

Heidi & Andi

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