Mein Freund der Baum, lässt los…

Es duftet nach Herbst. Im November ist das zwar nicht weiter verwunderlich aber ich will, nein ich muss es der Einleitung halber gesagt haben.

STOPP! «Hier musst du tief Luft holen und langsam ausatmen, einfach an nix denken», sagen sie. 

Aber da können die Schlaumeier noch so viel reden… heute fällt es mir irgendwie ganz besonders schwer, mich aus meinem Gedankenmeer freizuschwimmen. 

Als dieser gar wunderschöne Herbstbaum am See seinen sanften Schatten über mich schmeisst, mag mir vielleicht ein ganz kurzer Augenblick allseits empfohlener Entspannung gelingen. Einatmen konnte ich noch, beim Ausatmen flog diese, dem Tod geweihte Herbstzeitwespe an mir vorbei und riss mich aus meiner tiefen Trance. Dazu muss das werte Leseopfer wissen, dass ich – sie sagten «allergisch» – auf ihren möglichen, ja sogar äusserst wahrscheinlichen Stich reagiere. Genau so allergisch reagiere ich entsprechend auch auf mein mögliches Ableben und so entscheide ich mich trotz gegenteiligen Erfahrungen lieber für die liebevolle Mutter der Porzellankiste.

Neuer Anlauf, vielleicht neues Glück. 

«Du musst die Augen schliessen, mit dir eins sein und abtauchen», sagen sie. 

Hey und ich bin ja so was von eins, tauche zusammen mit mir ab und muss mich bereits wohl im mentalen Nirvana befinden, als plötzlich dieser verkackte Motorradfahrer in seiner hoffentlich letzten Midlife-Crisis röhrend an der Strasse hinter mir vorbeibretterte. Hmmm, nur irgendwie seltsam Strange, dass ich ihn aber jetzt in der Entfernung weder sehen noch hören kann…

«Womöglich», so sagen sie, «habe ich nur das falsche Mindset». 

Also reiss dich jetzt einfach mal zusammen Alter. Das hat bei den ganzen erfolgsvergeilten Dachlatten in #Shorts ja auch irgendwie hingehauen. Gesagt getan… ich fühle es. Ja ich bin der Obermindsetter. Und ich bin nicht der Fussabstreifer der Nation, ich bin liebenswert, ich bin wertvoll, fuck ich bin der geilste überhaupt. Ich fühle es, sie sagen es, «ich komme»… Ich gehe. Ich fühle nix. Nix steht. Versager. Was ist denn nur los mit mir?

Womöglich liegt es an den Glaubenssätzen? «Ich muss sie auflösen», sagen sie… ja ich will sie auflösen, sie gehören längst aufgelöst. Ich löse mich auf. Ich höre sein Atem an mir, spüre seine Nähe, fühle diese-, von den Füssen emporkriechende Wärme… oh Herr, lass bitte meiner Knete Gnade folgen. Doch der feine Herr entpuppt sich beim Öffnen der Augen als Köter und warm fühlt sich sein frischgezapftes Pinkepinke halt nun mal an…

Verdammt, was ist nur los mit mir? Wieso kann ich denn nicht einfach nur sein wie all die anderen? Wieso kann ich mich nicht einfach wie das Kollektiv vom Kollektiv mitreissen lassen? Wieso führt mich euer Pampa-Weg nicht an mein Meer?

Ich gebe auf. Schluss, aus, vorbei.

Ich kapituliere.

Es duftet tatsächlich nach Herbst. Es ist traumhaft ruhig. Ich, der sich so gerne in seiner Tiefe suhlt bin mir sicher dieser Baum vor mir, so tiefgründig seine Wurzeln auch immer sein mögen, er hat in mir definitiv seinen Meister gefunden. 

Grün, gelb, orange, rot, braun, tot. Betagtes, dem Untergang geweihtes Blattwerk segelt vor meinem schnöden Antlitz gen Boden und hüllt den Moment in herbstliche Magie. Es scheint, als würden die Blätter nochmal so richtig krass die Sau rauslassen, bevor der Baum sich gänzlich von seinem Saisonkleid trennt und nackend mit seinen Misteln-Glocken den Winter einläutet. Voll der Waldporno.

Ich denke nur an Wärme und schon steigt in mir das Frühjahrsfieber und mit ihm spriessen all diese poetisch anmutenden Keimlinge. Der Himmel öffnet sich im Urwuchs meiner Gedanken und der Tanz des Wassers wird wilder, genau so wie ich es liebe. Einzig nur dieser arrogante Baum vor mir zeigt sich von meinen Ergüssen scheinbar unbeeindruckt. Gleichwohl lasse ich mich auf diesen Ignoranten ein. Es ist einer von vielen Ignoranten aber was soll’s, er scheint jetzt irgendwie meine Muse zu küssen. Und die arme Sau kann ja schliesslich auch nicht fliehen.

Dieses Loslassen von seinen Blättern, von meinen Gedanken, es fasziniert mich. Loslassen kann ja so viele bunte, positive Aspekte haben und doch schwimmt in unserer Pfütze der Sicherheit immer so viel Angst mit. Angst und all diese warnenden, besserwisserischen Monster im Innen und Aussen.

Aber wir haben ja zum Glück so viele Optionen und du, einfacher Baum kannst schlichtweg nur akzeptieren und loslassen. Im Gegensatz zu dir können wir uns dabei helfen lassen oder worst case einfach weglaufen. Und zu guter letzt bleibt uns da ja noch diese herrliche Ironie, die dir Baum ja so gänzlich fehlt…

Wir breiten unsere Hände aus, schmücken sie mit schweissgetränkten, bunten Frankenscheinen und lassen sie, so wie du deine Blätter – einfach fallen. Der einzige Unterschied: An deinen Blättern labt sich die Natur. An unseren laben sich unsere Erlöser, Gurus, Pfarrer, Tuner, Führer, Heilsversprecher, Influencer und andere Auswüchse unserer Zeit. 

Wir lassen los und halten dabei fest, weil wir es können, weil wir den besten Deal haben. Wir müssen dabei (wenn wir genügend Blätter haben) auf nichts verzichten. Dir Baum, bleibt nur noch die Hoffnung auf’s Frühjahr. Wir bewegen uns in geschätzter Sicherheit und du Baum vegetierst in deiner gefährlichen Freiheit dahin. Wir haben Black-Friday und du Baum nur deinen naturgegebenen Alltag. Wir haben diese cleveren «Hilfe zur Selbsthilfe-Bundles» und du Baum nur deine altbackene, in die Jahre gekommene Selbstheilung. Wir haben die Wahl und du Baum, du hast mein volles, aufrichtiges Mitleid.

Und doch trotz allem stehst du so machtvoll vor mir und machst mich mit deiner überlegenen Ruhe und Resilienz verrückt. 

«Was hast du alter, dusseliger Baum uns nur voraus?» …und komm mir jetzt bitte bloss nicht mit deinen tiefen Wurzeln!

Aber dieser eingebildete, knochige Typ steht weiter stoisch im Wind und seine unausgesprochene Antwort fällt mir nur durch sein Sein wie Schuppen von den Augen:

Er steht da, im Moment verwurzelt. Er akzeptiert das, was er nicht ändern kann, geniesst die Sonne und lässt sich weder von mir, noch von Vergangenheit, von Zukunft, von schlauen Predigern, Strategien und Konzepten blenden. Er lässt los, was er loslassen muss und er feiert es. Verdammt noch mal, er feiert es…

Das simpelste dieser Welt, jenes was du schon als Säugling konntest, als Kind perfektioniert hast, lässt du Narr «Mensch» dir irgendwann wieder für ganz viel Geld als ultimative Weisheit verkaufen. Immer und immer wieder…

Ich blicke auf Baums Blätter und schaue ihnen beim Segeln zu. Auf einmal verlieren so viele quälende Fragen, so viele Sorgen und Gedanken an Bedeutung.

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