Perinaldo & der steinige Weg der Bescheidenheit

Die Vorhänge wölben sich im Spiel des Windes zu regelrechten Skulpturen. Meine Füsse frei, ungeschützt, blank, nackt, weil Mausi sich im nächtlichen Kampf ums Textil wie ein Wrap in «unsere» Decke eingerollt hat. Kurz zuvor kitzelte mich die Sonne aus aus meinem megageilen, feuchten Traum.

Ich in Dubai, hofiert von Scheichs, bewindet von Palmwedeln, den Cocktail schlürfend, mit Blick auf meinen Lambo, die Füsse im ach so herrlich feuchten Pool hängend, schnippe lässig mit dem Finger – als eine Horde von Köchen heraneilt um mir meine Leibspeisen ohne jegliche Wortverschwendung von den Lippen abzulesen… BAAAAAAM und noch bevor ich voller Inbrunst in diese saftige Gaumenfreude beissen konnte, erwache ich in der ach so gemeinen Realität.

Gemein? Nein Joke, nicht wirklich! Denn in unserer eigenen Wohnung im traumhaften Sanremo aufzuwachen, fühlt sich ja «an sich» schon wie ein wundervoller Traum an. Ich kneiffe mich. Betäubt vor lauter Freude spüre ich… ähm nix. Ich kneiffe Mausi… ok es ist Realität.

«Heidi, wooow es ist die Realität!» 

Als mich ihre müden-, kleinen- (er)stechenden Augen ungläubig anblicken, sprudelt sie schon aus mir heraus… diese spontane Schnapsidee des Tages.

«Lass uns in die Berge gehen. Ich habe da kürzlich was gelesen von einem geheimnisvollen Ort. Ein Ort der unter ganz speziellen Sternen steht. Die Wanderung dorthin dauert laut meinen seriösen Recherchen nur 2 Stunden. Wer diesen Ort von den Bergen im Süden kommend beschreitet, über den soll einer Sage nach «purer Reichtum» hereinbrechen.»

Nun gut, eigentlich geht’s uns ja blendend und wir sind happy mit dem was wir haben aber ein wenig mehr kann ja schliesslich auch nicht schaden oder? «Oder Heidi?» «Du Spinner, lacht sie… na dann, auf geht’s!»

Und Proviant? Nein, das brauchen wir nicht. Trinken? Ach ne, da sind sicher unzählige Osterias, Almen & Beizen auf dem Weg.

Ca. 1/2 Autostunde entfernt liegt der Ausgangspunkt unserer Wanderung, das wu-wu-wunderschöne Seborga, das wir ja bereits von Sanremo aus bewandert haben. Aufmerksame Blogleser werden diese Geschichte sicher noch kennen. Für die ganz dusseligen, vergesslichen, unaufmerksamen Leser haben wir –> hier den Link dazu 

Als wir mit dem Auto durch Seborga fahren, ist sie wieder da… diese Mystik von damals. Keine Ahnung wieso? Es fühlt sich irgendwie so an, als hätte es etwas mit uns zu tun und…

…mit der Kraft der Natur!

So genug philosophiert. Hand in Hand, schnaufend, hechelnd, mit knarzenden Bürogelenken geht es in gewohnter Laufschrittmanier bergauf. 

«Siehst du diesen Pass dort oben? San Bartolomeo. Dauert nur 20min»! Von dort aus müssten wir unser Ziel Perinaldo gut sehen können. Ca. 1 Stunde später, der Wald lichtet sich und die Kapelle am Pass rückt langsam immer näher.

Als wir oben ankommen, macht sich so ein richtiges Wooow-Gefühl breit. So eine schöne Aussicht, so eine Weite, Freiheit pur. Aber äääh wo bitte soll jetzt denn nur dieses Perinaldo sein? Also der Richtung nach müsste es dort hinten sein…

Ich, einst als Jüngling mit Adlersgleicher Weitsicht bestückt, muss passen. Da draussen in der Weite ist nix. Nix Perinaldo, nix Dorf, nix Haus. Nur Bäume und Berge. Und Mausi, sie sieht ja eh nur gerade mal bis zu den Fingerspitzen. 

Aber als ich auf meinem Smartphone den, laut Testbericht ach so gelobten 50fachen Zoom mit Bildstabilisator aktiviere: Gebilde, Minecraftartige pixelige Gebäude in Richtung 12 Uhr. Krass… «ich sagte doch, dass wir von hier aus Perinaldo sehen!»

Mausi schaut mich ungläubig an. Ich weiss, sie wird jetzt sagen, «das ist weit, das ist sehr weit.» 

Stille ¦ summende Fliegen die sich in Exkrementen suhlen, das flüstern der Grashalme im Wind welches Balztöne wollüstiger Insekten übertüncht ¦ Stille, es holt Luft…

«Andi das ist verdammt weit, das ist doch viel zu weit!»

Was Mausi alsgleich voreilig als Andi-typische Beschwichtigung interpretiert, wurde aber durchaus wissenschaftlich und seriös von mir recherchiert. 

Laut der Map des Marktführers soll es nur eine Stunde dauern – bergab gehts ja auch eh viel schneller – es war ja auch nur ein 5fach Zoom – in dünner Luft sieht alles viel weiter aus… noch bevor ich zum ultimativen Killerargument ansetzen kann, packt sie selbst der Ehrgeiz. «Ok los du Spassvogel, auf geht’s!»

Zugegeben, manchmal ist es mir schon nicht ganz so geheuer, dass wir beide unsere Wege so spontan, verrückt und fernab jeder Vernunft zu gehen bereit sind. Wo soll denn das nur enden? Vielleicht gibt uns ja der heutige Tag darauf eine Antwort? Wer weiss…

Ein wenig was zu trinken oder so ein frisch gehopftes, vitaminreiches & isotonisches Bier und feines Pasta würde mir und meinem geschundenen, nach Nährstoffen lechzenden Körper jetzt echt gut tun. Ich schweife im Gedanken immer wieder ab in diesen leckeren Traum von heute Morgen. Doch leider ist weder hier am Pass, noch auf dem Weg irgendeine Verpflegung in Sichweite. Aber hey, für was bin ich denn Naturbursche?

Zum Glück bin ich ja mit meinen Pfadfinder-Genen dazu im Stande, Wasser/Rinnsale zu hören, ja quasi fast blind aufzuspüren!

Zum Glück haben wir den verrichteten Blasentee dieser Kuh eben nicht getrunken!

Wir schreiten bergab. Der Weg wird dabei immer schmäler und verwachsener. Sieht irgendwie so aus, als ob hier schon lange kein Mensch mehr gelaufen ist. Wieso das so ist, das wird uns Schritt für Schritt klarer… er ist eben alles andere als Massenkompatibel.

Überall Schmutz, Unkraut, keine Restaurants, kein Bier, knarzende Holzbrücken, schrofe Felsen, Steine, ein nicht enden wollender Weg und immer wieder diese Sicht auf einen Ort der einfach nicht näher rücken möchte. Als würde jemand im Schritttempo eine Leinwand mit Perinaldo-Kulisse mit uns mitbewegen. Der Weg ist lang, sehr lang. Unserer Motivation tut das aber keinen Abbruch.

Es geht nochmal in eine dieser dunklen, tiefen Schluchten herab. Würde uns hier etwas passieren, eine schillernde Karriere als berühmtes Ötzi-Paar wäre uns gewiss. Wir schreiten tollkühn über diese kleine, morsche Holzbrücke… die wissen ja hoffentlich was sie da gebastelt haben, oder? Bilder anderer, berühmter italienischer Brückenbaukünste möchten mir hierbei einfach nicht aus dem Kopf gehen.

Verdammt steil geht es bergauf, um dann in einer Lichtung zu münden. Woooow… das prächtig erscheinende Perinaldo ist in fast greifbarer Nähe!

Kultivierte Obstbäume, Olivenbäume, Traktorspuren, kläffende Hunde, urige Steinhäuser, Müll… kein Zweifel, wir sind wieder in der Zivilisation angekommen. 

Schon bald sind wir mitten im Ort. Perinaldo – die Beschreibung hatte wahrlich nicht zuviel versprochen. Ein wirklich wunderschöner Ort. Stolz auf einer Anhöhe thronend, herrscht er über die Weite der ligurischen Bergwelt.

Urchige Häuser, verträumte Gassen fast wie im Bilderbuch. Hier, in einem dieser Häuser muss offenbar der berühmte, mittelalterliche Astronom Giovanni Domenico Cassini aufgewachsen sein. Die ihm gewidmete Sternenwarte ist leider aktuell geschlossen. Von ihm persönlich, wider erwarten keine Spur und auch sonst scheint der Ort wie ausgestorben. Kaum jemand auf den Strassen, keine Touristen. Märkte, Läden, Gastronomie… alles geschlossen. Tja, es ist eben ein Winter-Sonntag & Corona treibt auch hier immer noch sein Unwesen.

Wir biegen ab in eine unscheinbare Gasse, welche in einem dunklen, grottenartigen Eingang mündet. Mit offenen Mündern zieht er uns regelrecht in seinen Bann. Die massiven Mauern sind geschmückt mit farbigen Gemälden längst vergangener Epochen, massiven Holztüren und uralten Schildern. 

Gegenwärtige Gelüste wie Hunger und Durst treiben uns ans Ende dieser Grotte. Dort präsentiert sich uns ein schickes Restaurant, im Stile einer römischen Taverne. Während wir uns ihr freudestrahlend nähern, beschleichen uns Bilder von regelrechten Fressorgien. Doch dann fällt uns plötzlich nicht nur die Zunge, sondern auch die Kinnlade nach unten…

CHIUSO

So in etwa muss sich ein Beduine fühlen, der vom Durst geplagt von einer fiessen Fata-Morgana getäuscht wird. 

Ernüchtert verlassen wir die Grotte und landen auf einem wunderschönen, einladenden Platz, welcher U-förmig umringt wird von bunten Häusern und einer mächtigen Kirche. Nach vorne öffnet sich der Platz für eine atemberaubende Sicht bis ans Meer. 

Wir biegen ab in eine dieser unzähligen vielen, schönen Gassen und landen auf einem Plateau am anderen Ende der Altstadt. Wooow, was für eine herrliche Weitsicht. Unter uns ruht die historische Stadt Dolceaqua und in der Weite erkennen wir das hochgelegene Bajardo. Hier würden wir am liebsten länger bleiben, doch Hunger, Durst & Hoffnung treiben uns weiter.

Wir finden tatsächlich einen Brunnen. Eeeendlich – wie Vögel an einer Vogeltränke heben wir unsere Schnäbel minutenlang unter das kristallklare, glitzernde Nass. Das war echt bitter notwendig! 

Aber nun, wo die eine Not gestillt ist, macht sich die andere dafür umso stärker bemerkbar. Während fröhliche, zwitschernde Vögel langsam immer mehr einem knusprigen Brathänchen zu ähneln scheinen, laufen wir gedankenlos an einem Haus mit einem sonderbarem Regal vorbei, welches mit Obst, Zwiebeln, Zitronen, Tomaten, Brot und Feigen geschmückt & dem Hinweis «Vendita» beschriftet ist. Wir laufen weiter… ca. 100 Meter später stoppen wir beide wie ferngesteuert, schauen uns ungläubig an und trampeln wie wildgewordene Hornochsen zurück an diese offensichtliche Futterstelle. Mit vollen Händen und Taschen setzen wir uns an einen malerischen Aussichtspunkt und können unser Glück kaum fassen.

Frische, biologische Feigen, Tomaten, Äpfel und etwas Früchtebrot vom herzallerliebsten Nonna. Mehr geht nicht! So einfach und schlicht das für manche auch erscheinen mag…

Ich biss in diese unförmige, nicht-normgerechte Tomate. Die anfänglich harte Schale platzte dabei knackend auf, spritze weich. Das süsse, aromatische Fleisch brach heraus, mein Gaumen frohlockte. Der Abgang, zuerst wild, rassig um am Ende mit einer leicht erdigen Note abzutauchen. Die Feigen, die Äpfel und das Brot waren in ihrem Gaumenspiel nicht minder erotisch. So albern sich das anhört – für uns eines unser schönsten und reinsten Geschmackserlebnisse & Wohlfühlmomente. Wir sind uns ganz sicher, dass dies nicht nur am Hunger und an der Anstrengung gelegen haben kann! 

Wir sassen fast eine Stunde unter den Bäumen. Wieder war sie da, diese mystische Stimmung, die wir damals auch schon in Seborga empfunden haben. Irgendwas hat diese Gegend an sich. Irgendwas, was weder religös, noch esoterisch beschrieben werden möchte. Es ist einfach nichts, was der dumme Mensch in irgend eine menschengemachte Schublade stecken soll und kann. PUNKT!

Und irgendwas hat uns heute ein weiteres mal unendlich reich gemacht. Als hätte ich es geahnt, als ich heute Morgen diese dusselige Sage erfunden habe. Es sind immer wieder diese Weisheiten, die sich uns bewahrheiten wenn wir…

spontan ohne grossen Plan zu laufen beginnen – ganz leicht ohne viel Proviant, Ballast und schweren Rucksack – wenn wir unserem Weg vertrauen – die vielen kleine Dinge sehen – das Einfache zu schätzen wissen & die Dinge so annehmen wie sie eben kommen.

Wir haben sehr viel, wir leben im Luxus, wir träumen von ihm, wir geniessen ihn und wir alle huldigen ihn auf «seinem» Weg Tag für Tag. Wir gewinnen an Luxus und verlieren an Reichtum – als wäre dies ein unbeschriebenes Naturgesetz. Echte, tiefe Sicherheit und Befriedigung erfährt man nur auf seinen ganz eigenen, bescheidenen Wegen jenseits der Massen & Autobahnen. Das tolle ist, wir alle können sie selbst ohne Fremdeinfluss zu jeder Zeit gehen, unser Leben justieren und reicher werden. Wir sind eben von Natur aus sehr viel kleiner, manövrierfähiger, einfacher, natürlicher, leichter und elementarer als uns die diese Narren des aufgeblähten, menschlichen Glaubens & des Fortschritts weismachen möchten.

Uff, wieder mal sehr philosophisch unterwegs heute…

Apropos «unterwegs», wir mussten natürlich wieder den Rückweg antreten und irgendwie war die Motivation dafür anfänglich nicht wirklich gross. Der Aufstieg auf den Pass gelang uns aber dann doch erstaunlich gut & schnell. Während wir den Hinweg eher auf uns wirken liessen, beschäftigten wir uns am Rückweg mit den vielen Ideen und Projekten, welche da noch auf uns warten. 

Etwas groggy kamen wir oben an der Kapelle an und beschlossen ganz spontan, einen anderen Weg zurück zum Auto zu wählen.

Und dieser Weg wiederum bescherte uns noch am selben Tag ein weiteres, wunderschönes, eindrückliches Abenteuer, so wie es eben ist, wenn zwei einfache, positive Seelen ihrer Richtung folgen 😉 

Mehr vom neuen Abenteuer gibt’s bald – frisch, frech, fröhlich auf diesem Kanal!

Euer Andimacht

Anbei noch ein paar weitere Impressionen davon:

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