Die Welt, mit den Augen eines Kindes…

Vielleicht könnt ihr euch auch noch daran erinnern an damals? Als die kleine Welt um uns herum so viel grösser erschien. Als neue Entdeckungen noch so viel fremder, abenteuerlicher und eindrücklicher waren. Als einem alles so sehr viel länger vorkam, sowohl das Sein als auch das Warten…

Pssst… hört her und lauschet dem Rauschen! Es ist ein Bach voller Zeit, der an uns vorbei schiesst. Gefühlt mit jedem Jahr schneller und schneller. Und während das Wasser der Zeit rennt, da rennen wir mit und verlieren dabei oft den Blick aufs Wesentliche. «Quality-Time» – Zeit für wesentliche Menschen & Erlebnisse. So zu «sein», wie ich in diesem Augenblick «sein» möchte. Bevor ich aber jetzt ganz ins phylosophische abtauche, schlage ich nun die Brücke in unsere Welt und unsere Geschichte.

Unsere Welt, dass ist heute eine Familien-Wanderung in der Region um Steckborn. Ja ihr hört richtig! Eine vermeindlich langweilige Wanderung mit zwei quängelnden Kids, entlang der Anhöhe über dem Untersee nach Ermatingen. Woooow… das klingt wohl eher nach Spiesser-Romantik als nach Krimi – bedeutet jedoch im Umkehrschluss noch lange nicht, dass es nicht kriminell war!

Der Tag begann eigentlich unschuldig wie immer… 

Wenn diese kleinen Zappelmäuse mal ausschlafen könnten, dann tun sie es nicht. Frühstück ganz normal, Geschmatze, Gegrunze, Gesabbere wie in einem Schweinestall. Nutella und Kakaobart bis an die Ohren, Zähneputzen und anziehen klappt nur mit purer Erpressung. Nach fünf Minuten Autofahrt ertönte sie… diese eine Frage aller Fragen, die uns immer wieder die Haare zu Berge stehen lässt:

«wann sind wir da?»

Diese Frage, die einzig und alleine darauf abzielt, um auf unseren blanken Nervensträngen Gittare zu spielen, wiederholt sich dann auch immer wieder gebetsmühlenartig beim Aufstieg der Wanderung in die Todeszone.

Während die beiden ja normalerweise vor lauter überschüssiger Energie fast platzen und den ganzen Tag wie eine Horde wildgewordener Affen zappelnd, springend, hüpfend & kletternd durch die Gegend blödeln… da scheint sich offenbar ihr Energiesparmodus beim seriösen Gehen innerhalb von Minuten einzuschalten. Error – Klare Fehlfunktion! «Ich bin mir echt sicher Heidi, das stand so in keiner Anleitung.»

Erst als geheimnisvolle Kobolde aus dem Wald, na ihr wisst schon… «diese», die den lieben Kindern völlig uneigennützig was gutes tun wollen; erst als «diese» den Wegesrand mit kleinen-süssen Häppchen schmückten, verhallte dieses durchdringende Klagelied der beiden abrupt. Doch herrje, auch das Proviant von Kobolden ist halt irgendwann mal erschöpft und dann beginnt das Gejammere von vorne. Wir blicken auf die Kids. Ich weiss sofort, dass auch Heidi in jenem Moment exakt das gleiche denkt, die gleichen Bilder vor Augen hat: Diese klagenden Schnäbel der beiden, sie gleichen einem Haufen panischer-kleiner Vögelchen, welche schreiend, kreischend ihr (Süss)futter einfordern. Doch wir bleiben (notgedrungen) hart und schreiten weiter voran…

Und siehe da, eine halbe Stunde später, da gibt es dann tatsächlich Futter. Gutes Futter, reiches Futter, sättigendes Futter, Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe. Aber Schnäbel sind zu, bleiben zu, keine Reaktion. Auf die Frage wieso sie nicht essen, antworten die vorhin noch vom Hungerleid getroffenen Piepmätze mit ungläubigem Blick, «was ist das»? «Na was ist das wohl, liebe Kinder? Nach was sieht es denn aus? Das sind [Kar|tof |feln] – zu Knollen geformte Pommes; mit [Spi|nat] – einer krautigen Grünpflanze, deren rötliche Wurzel konisch verläuft und ja, das kennt ihr natürlich [Fisch|stäb|chen] – und nein die schwimmen in dem Outfit so nicht im Bodensee!»

Während die zwei Leichtmatrosen ihre Stäbchen mit erfürchtigem Abstand zur feindlichen Beilage aufgefuttert haben, ertönt bereits ihre dreiste Frage nach einer Belohnung. Shit, die Psyschologen scheinen echt recht zu behalten. Das jahrelang falsch und leichtfertig angewendete Belohnungsprinzip fällt uns spätestens hier und heute voll auf die Rübe. «Gut, ihr bekommt euren Nachtisch aber nur wenn…»

… ja wenn, wenn sie bloss dieses Versprechen im weiteren Verlauf der Wanderung nicht immer wieder gebrochen hätten, dann wäre die Sache wohl auch nicht so sehr eskaliert. Doch dazu kommen wir später…

Wir brechen auf, machen uns in gewohnter Frage/Antwort Manier auf den Weg in Richtung Ermatingen. Irgendwann fällt uns auf, dass unsere Kids… ähm also gar nicht mehr so richtig hinter uns sind. Zugegeben, also es war schon ein paar Minuten so verdächtig, andächtig, wunderschön und angenehm ruhig. «OMG was sind wir bloss für grausame Rabeneltern?» geht mir noch durch den Kopf, als ich die beiden hinter der Kurve an einem Zaun zu sehen bekomme. Da stehen sie, blicken gebannt auf… ääh, also auf was eigentlich? Tatsächlich, sie verweilen dort – bei wunderbaren, von Gott geliebten, frohlockend-gackernden Hühnern und einem stolzen Haaremchef. Mit offenen Mündern beobachten sie diese seltsam zuckenden Wesen wie in Trance, um ihnen dann Gras als Futter anzubieten. Als dieses Federvieh (deren Speiseplan eigentlich nicht dem einer Kuh gleicht) darauf reagiert, da schien es um die beiden vollends geschehen. «Echte Hühner», ich glaube das kannten die beiden zumindest aus ihren Minecraft-Spielen… nur ist das Original ja sehr viel eckiger als diese, womöglich überzüchteten, unverpixelten Exemplare. Eine halbe Stunde vergeht. Kein Gequängel, kein «wie lange dauert es noch,» kein «wann gehen wir endlich.» Hallo??? Da machen wir uns den ganzen Weg zum Affen, versuchen unser Möglichstes um unsere Kids zu motivieren und eine Horde doofer Hühner zeigt uns wie es geht. Also «wie» es geht leider eben nicht aber «dass» es geht!

Nochmals verstreichen 20 Minuten. Ich, der die Geduld nun auch nicht unbedingt gepachtet hat, werde nun langsam echt ziemlich hibbelig, «also auf geht’s ihr Mäuse.» Unter lautem Protest konnten wir uns dann irgendwann tatsächlich mal losreissen. Die Motivation, weg, keine Ahnung wohin… im Hühnerstall? Also es ist doch echt verhext. Und wieder lassen wir uns für unsere Küken allerhand Spiele und Ablenkungen einfallen, um darin letztlich irgendwann grandios zu scheitern. 

Eine Stunde später plötzlich wieder Ruhe, Stille, Besinnlichkeit und dieses leise Plätschern, Rauschen von Wasser… [hört ihr es auch?] Nein, keine Angst, es ist nicht die Zeit – aber Heidi und ich wissen sofort was Sache ist. Denn wenn es eine Möglichkeit gibt sich vollzusauen, dann scheint sich bei unseren beiden Exemplaren so ein Schalter umzulegen. Visuelle Ähnlichkeiten mit suhlenden, frivolen Schweinen sind dann kein Zufall.

Als alter, erfahrener Pfadfinder nehme ich die Fährte auf, wir folgen dem Plätschern und finden alsgleich des Wassers Ursprung. Und siehe da, beide stehen an einem Brunnen, die Arme bereits tief ins Wasser vergraben. Lachend, paddelnd, spritzend scheinen sie darin wieder voll aufzugehen. Es ist mir echt ein Rätsel… wieder verhalten sich beide Kinder wie ausgewechselt. Fast eine halbe Stunde vergeht, ehe wir die beiden zappelnd, triefend und pudelnass ins trockene schleppen.

Und als wir von dannen schreiten, wieder das gleiche Spiel, immer wieder diese eine Frage aller Fragen… minütlich grüsst das Murmeltier. Langsam kommen wir in die Zivilsation. Echte Häuser, Leben, Autos… ganz klar, das muss kurz vor Ermatingen sein.

«Wann sind wir da?»

Es war diese eine letzte Frage unserer Kinder, die das Fass zum überlaufen brachte… Affekt, Notwehr, purer Wahnsinn, nicht unsere Schuld, wir haben Rechtschutz. Wir rasteten aus, sprangen wie von einer Tarantel gestochen lachend, kreischend, wiehernd umher und ich weiss noch: da war dieses driste, alte Haus und da lagen diese komischen Farbeimer und Spraydosen herum… wieso standen sie nur herum? Es war nicht unsere Absicht, nicht unsere Schuld… 

… und da holten wir uns diese Farben, lachten, hüpften, spritzten, klecksten und sprühten wir von unserer geistigen Umnachtung getrieben, dieses hilflose Haus und seine ganze Umgebung und womöglich auch die ganzen Nachbarn kunterbund voll. Urgetriebene, animalische Kunst in seiner primitivsten & brachialsten Form machte sich in jenen Momenten breit…

Was hat uns nur geritten? Was soll ich jetzt dazu sagen? Geschockt, sprachlos, geil, peinlich berührt… nein, also wir waren das nicht!

In dieser verkehrten, grellen Welt schauen unsere beiden Kids gebannt und schockiert auf unser unser Werk, um uns dann mit Standpauken und Massregelungen zum aufhören zu bewegen.
«Man Heidi, was haben wir bloss getan?» Wir haben dieses Haus, einen ganzen-, womöglich seit dem Mittelalter ruhenden Ort, diesen Zeugen der Zeit entweiht, die Geschichte in dreistester Form einfach umgemalt, gelabelt, gebrandet bis in alle Ewigkeit. OMG und es war, nein es ist «so wunderschön.»

Als wir weiterliefen, da wurden wir alle ganz ruhig. Wir liefen und liefen, denn bis Ermatingen war noch sehr, sehr weit…

Es war nun der Wind der rauschte, die Dunkelheit die sich langsam breitmachte, Gedanken die sich allmählich wieder ordneten und folgend Sinn, der sich uns erschloss:

«Wir brennen für das was wir sein wollen, wir funktionieren für das notwendige drumherum aber wir haben auch die grosse Gabe uns driste Orte und Gegebenheiten kunderbunt zu machen!»

Unsere herrlichen Kids, so herausfordernd sie auch manchmal sein mögen, sie sind da im Alltag sicher weitaus näher dran als wir. Aber ich glaube, auch bei uns ist da nicht ganz Hopfen und Malz verloren! Wir arbeiten weiter daran…

Danke euch lieben Kids für diese Inspiration, danke euch Hühnern, danke Region und danke dem Wasser, welches – weil die Zeit es so will, im rauschenden Bach mündet, bis es fällt.

Dieser Beitrag, die Geschichten und Bilder darin sind natürlich total frei erfunden 😉 oder etwa nicht?

Eure Chaosfamily

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